Rundreise Ost mit Öger Tours

21. September bis 05. Oktober 2002

Teil 9 - Nemrut -

 

 

 Neunter Tag   (30.09.2002)


5.00 Uhr Wecken, Abfahrt 6.30 Uhr. Ich möchte endlich einmal ausschlafen !

Der Tag begann mit einem Schrecken!

Herr Scholz, einer unserer älteren Mitreisenden, war in der Nacht zusammengeklappt und mit Herzflimmern ins Krankenhaus gebracht worden. Es ging das Gerücht um, dass er schon auf der Hinreise im Flugzeug eine Kreislaufschwäche gehabt habe und dort in Ermangelung eines Arztes von einem Medizinstudenten erfolgreich behandelt wurde.

SELO blieb nichts anderes übrig, als ihn und seine Frau in Diyarbakir zurückzulassen und mit uns weiter zu fahren. Es wurde vereinbart, dass uns das Ehepaar nachreist. Über seine Handys war SELO zu jeder Zeit bestens zu erreichen.

 

Unser erstes Ziel ist heute die uralte Stadt Harran, 45 km südöstlich von Sanli Urfa. Die zweihundert Kilometer bis hierher waren schnell abgespult. Draußen wurde es heiß. Man merkte das Nordsyrische Wüstenklima.
 

 

SELO erzählte uns vorab von den Trulli-Häusern, einer uralten Bauform der hier anzutreffenden Häuser. Ich hatte diese Häuser bereits in Syrien gesehen. "Bienenkorbhäuser" heißen sie dort, wegen ihres an Bienenkörbe erinnernden Aussehens.

1023 Steine werden für den Bau der Kuppel benötigt. Im Innern dieser Häuser herrscht eine angenehme Kühle, gänzlich ohne Air-Kondition und Ventilatoren.

Wir konnten uns davon selbst überzeugen.

 

 
 
Die Stadt wurde im Zentrum der Harran-Ebene gegründet. Harran wird bereits auf den im syrischen Mari gefundenen Keilschrifttafeln vom Anfang des Jahres 2000 v. Chr. erwähnt. In hethitischen Inschriften aus der Mitte des 20. Jahrhunderts v. Chr. ist zu lesen, dass bei der Verhandlung zwischen Hethitern und Mitanniern der Mondgott Sin von Harran und der Sonnengott Zeuge waren.

Nach dem im 13. Jh. lebenden Geschichtsschreiber Ibn Seddad wohnte der Prophet Abraham, bevor er nach Palästina fuhr, hier. Deshalb wird Harran auch Abrahamstadt genannt.

 

Viel ist von der einstmals stolzen Stadt nicht mehr zu sehen.

Was wir sehen, sind die Reste einer großen Omayadenmoschee, wie sie noch heute in Aleppo und Damaskus zu finden sind und der ersten islamischen Universität. Das auf dem Foto sichtbare Tor soll beide Komplexe verbunden haben.

 

Foto: @chim

 
SELO, der Kindernarr. Überall auf der Reise hatte er für Kinder etwas dabei und verteilte es. Hatte für Kinder in Erzurum sogar eine Großpackung Buntstifte und einen Lederfußball gekauft.

Hier in Harran warnte er uns davor, den Kindern etwas zu geben. Er mag die Leute in Harran nicht. "Die Leute sind reich", meinte er. Die laufen aber absichtlich ärmlich herum und ziehen ihre Kinder entsprechend an, damit sie bei den Touristen betteln können. "Gebt denen bloß kein Geld", warnte er uns nicht nur einmal.

Gut, wir haben nichts gegeben. Das Betteln hielt sich aber auch in Grenzen. Vielleicht war es zu heiß ?

 

Von Harran aus fuhren wir nach Urfa, der Stadt der Propheten. Am Nordrand der mesopotamischen Tiefebene gelegen, nimmt die Stadt im Sommer mit Tagestemperaturen von über 45 Grad Celsius den Spitzenplatz der heißesten Städte der Türkei ein.

 
 

SELO führte uns durch den Bazar von Urfa.

Ich war im Bazar von Aleppo, den man den größten Bazar der Welt nennt, war in den großen Bazaren von Damaskus und Istanbul, aber so ursprünglich wie der Bazar von Urfa hat sich mir noch kein Bazar gezeigt.

Neben den Verkaufsständen, nur eine Gasse weiter, konnte man den unterschiedlichsten Handwerkern bei der Arbeit zusehen.

 

Leider hatten wir keine Zeit, uns umzusehen. Ich bezweifle allerdings auch, ob SELO alle seine Schäfchen unter 2 Stunden zusammen bekommen hätte.

Urfa, das antike Edessa. Eine der heiligsten Städte des Islam.
Den Ehrentitel Sanli  "die Heldenhafte", wurde der Stadt nach dem 1. Weltkrieg für den blutigen Aufstand der Bevölkerung gegen die französischen Besatzer verliehen.

Um die Stadt ranken sich zahlreiche Legenden. So auch diese:
Nimrod, Herrscher von Babylon wurde geweissagt, dass einer kommen werde, die Götter des Reiches zu stürzen. Darum ließ der König alle schwangeren Frauen einsperren. Zelika entkam und gebar heimlich in einer Höhle Abraham, den biblischen Stammvater. Schon als Jugendlicher fiel Abraham durch seinen Glauben, aus dem er keinen Hehl machte, der Obrigkeit auf. Seine Versuche, König  Nimrod von der Existenz eines einzigen Gottes zu überzeugen, scheiterten.

Um zu zeigen, wie machtlos die alten Götter waren, zerschlug er die Götzenbilder. Er wurde gefangen genommen und unverzüglich zum Feuertod verurteilt. Ein riesiger Scheiterhaufen wurde errichtet. Die Hitze war so groß, dass man nicht mehr an das Feuer heran konnte. So wurde er mit einem Katapult hineingeschleudert. Aber Gott rettete ihn. Bevor Abraham den Scheiterhaufen erreichte, verwandelte sich das Feuer in Wasser und das Reisig in Karpfen, deren Nachkommen noch heute in Massen den Teich bevölkern und heilig, also unantastbar sind.

 

Das Ziel vieler islamischer Pilger ist die Geburtsgrotte Abrahams.

Da Sara, Abrahams Frau, im hohen Alter von Gott erhört wurde und einen Sohn gebar, pilgern die Frauen  zu den heiligen Quellen im Innern der Grotte und bitten um Fruchtbarkeit.

Streng nach Geschlechtern getrennt, suchen die Gläubigen die enge Grotte auf.

 

 

 

Der gesamte Bezirk um die Geburtsgrotte und den heiligen Teich ist heute eine wunderschöne, gepflegte Anlage mit schattigen Wegen und einem großen Platz der Begegnung.

Überragt wird alles von der mächtigen Zitadelle.

Das Mittagessen nahmen wir im Hotel Edessa am Park ein. Ich kannte das Hotel von meiner Südanatolienreise 1999.

Hier im Hotel stieß Opa Scholz und seine Gattin wieder zu uns. Er war im Krankenhaus von Diyarbakir bestens versorgt und stabilisiert und mit den besten Wünschen in den Bus nach Urfa gesetzt worden. Ihm ging es schon wieder so gut, dass er unsere Reise unbelastet weiter mitmachen konnte.

Beim Ruf des Muezzins zum Mittagsgebet verließen wir die Altstadt Urfas, Richtung Atatürk-Stausee.

Der Damm des Atatürk-Stausees wurde 1992 fertig gestellt und ist der größte der Türkei und einer der größten in der Welt.

Er wird bis zu 84 Milliarden Kubikmeter Wasser des Euphrat aufstauen und bildet einen künstlichen See von 817 qkm.

 

Leider bekam ich auch diesmal nur die Staumauer von der dem Wasser abgewandten Seite zu sehen.

Viel Zeit hatten wir nicht. Unser Ziel und Höhepunkt des Tages war der Berg Nemrut. SELO bot fakultativ anschließend an den Besuch des Berges eine Besichtigungsfahrt zu einigen Sehenswürdigkeiten des einstigen Königreiches Kommagene an. Klar, dass ich die sehen wollte.

Auf unserem Weg nach Kahta, wo wir für die Fahrt auf den Nemrut in Minibusse umsteigen mussten, sahen wir immer wieder Ausläufer des mittlerweile riesigen Stausees.

In Kahta checkten wir im Hotel Zeus ein und verteilten uns dann auf drei Kleinbusse, die in gewohnter Manier im Eiltempo zum Nemrut fuhren. Solange die Straße noch asphaltiert ist, geht ja alles noch. Irgendwann beginnt aber ein mörderisches Kopfsteinpflaster, das teilweise durch die Frosteinwirkungen der strengen Winter arg gelitten hat. Bandscheibengeschädigte sollten sehr locker sitzen und versuchen, die Schläge, die durch die Fahrzeugfederung durchkommen, mit dem Körper abzufedern.

 
 

Fast hätte ich ihn nicht bekommen, meinen Esel.

SELO war es nicht gelungen, im voraus telefonisch Kontakt mit dem kleinen Restaurant unterhalb des Gipfels zu aufzunehmen. 8 Esel wurden benötigt.

Wir fanden ein einziges Exemplar der Gattung Equus africanus vor. Die anderen wurden im Tal bei der Ernte benötigt. Zum Glück konnte ich mir dieses Exemplar sichern.

Foto: Sylvie und Peter
 

Der Aufstieg zu den Terrassen der Götter ist alles andere als einfach. Allein durch die Höhe von ca. 2.000 Metern wird der Weg ekelhaft anstrengend.

Der Schotter auf dem schlecht befestigten Weg erleichtert den schweißtreibenden Aufstieg auch nicht wirklich.

 

 

Doch es lohnt die Mühe.

Allein die Aussicht ist es wert, diese Mühen auf sich zu nehmen.

Im Hintergrund sieht man deutlich die Ausläufer des Atatürk-Stausees. In der Vergrößerung (auf das Foto klicken) kommt er noch besser zur Geltung.

 

Der Gipfel des Nemrut besteht aus einem heute etwa 50 Meter hohem Kegel aus aufgeschüttetem Steinschotter.

Unter diesem Schotter vermutet man das Grab des  Antiochos I., König von Kommagene und das seines Vaters Mithradates I.

 

Foto: @chim   Die Ostterrasse

 

Die Geschichte dieses Grabheiligtums ist ungeheuer interessant.

Man mag schon fassungslos vor den Pyramiden Ägyptens stehen und sich fragen, wie gewöhnliche Sterbliche die riesigen Steinblöcke transportieren und zu pharaonischen Gräbern aufeinander schichten konnten – aber die schiere Tollkühnheit, einen ganzen Berggipfel in ein Denkmal zu verwandeln, ist in der Weltgeschichte einmalig.

Auf der Ostterrasse stehen die Monumentalfiguren von Apollo, Tyche, Zeus und Herkules, und auch Antiochus fehlt nicht im Kreis seiner Götterfreunde.

Die Römer haben einst die Köpfe herabfallen lassen und die Gesichtszüge sind durch die klimatischen Verhältnisse stark beschädigt worden. Trotzdem erfüllt einen die unglaubliche Leistung, die Steinblöcke 2000 Meter den Berg hinaufzuschaffen, mit Ehrfurcht, und man muss die egozentrische Großartigkeit dieses Herrschers und seines Vaters bewundern, deren Selbsteinschätzung vor dem Thron des Zeus nicht halt machte.

Auf der Westterrasse  befindet sich zwischen gigantischen Köpfen ein monumentaler Steinblock mit dem Horoskop des Antiochus, aufgestellt am Krönungstag seines Vaters Mithridates als König der Kommagener.

Auf der deutschen Internetseite der INTERNATIONAL NEMRUD FOUNDATION unter www.nemrud.nl findest Du umfangreiche Informationen über die Geschichte des Heiligtums, seine Rettung usw. sowie eine ansehnliche Fotosammlung.

 
 

Während die Restaurierungs- und Sicherungsarbeiten an der Ostterrasse schon weit fortgeschritten sind, besteht an der Westterrasse noch Handlungsbedarf.

Um den Schneedruck auf die aufgestellten Reliefsteine zu mindern, wurde im Jahr 2002 eine temporäre Schneebarriere errichtet. 2003 werden weitere Maßnahmen folgen.

 
SELO hatte uns ja fakultativ im Anschluss an den Besuch des Berges eine Besichtigungsfahrt zu einigen Sehenswürdigkeiten des einstigen Königreiches Kommagene angeboten.

Hätte ich gerne gesehen. Ich merkte aber bereits auf dem Nemrut, dass es dafür wohl zu spät würde. Schaut man sich die langen Schatten auf der Westterrasse an, kann man meine Gedanken sicher nachvollziehen. Wenn ich schon dort hin komme, möchte ich auch etwas sehen und fotografieren. Das wäre heute nicht mehr möglich gewesen.

SELO, der die angebotene Fahrt gerne durchgeführt hätte, war sich noch unschlüssig, wurde dann aber auf sehr unschöne Weise auf die Sinnlosigkeit des Unternehmens hingewiesen. Hier zeigte unser versierter Reiseleiter zum ersten Mal Nerven. Die Fahrt wurde abgesagt. Die einzig richtige Entscheidung, denn wir wären sicher unzufrieden ins Hotel gekommen.

 

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Lektorat: Ellen Seidel

Fotos: Gernot Fricke